brandenburg (Download als PDF)

(1)
ich hatte nächtelang unruhig geschlafen
mit ner wagen vorstellung, dass sich was unklares anbahnt
bin irgendwann morgens zum bahnhof gelaufen
mich spontan entschieden
und ein ticket gekauft

(2)
am bahnhof standen drei fahrgäste
und ein mädchen mit nem highfield t-shirt an
der morgen und sie haben mich inspiriert
hab sie angesprochen
und von mir erzählt

(3)
paar meter hinterm bahnsteig mähten leute die wiese
sie sagte zu mir, das ist wegen hartz IV
ich nickte interessiert und erzählte ihr
von nem spiegel-artikel und dass im osten
die neue freiheit, irritiert
irritiert

(4)
am fenster zog brandenburg langsam vorüber
schmale lindenalleen und schlossmuseen
wie verlassene symbole erstarrter ideen
wie die gesichter von menschen, die die welt nicht verstehen

und eine sonne brennt
über weite felder
fällt in ihr gesicht
und macht es unsagbar lebendig
alltäglich, unverständlich

(5)
sie sagt: die leute hier haben sich nie gern verbogen
aber irgendwie ging die leidenschaft verlorn'
dann sind die meisten ihrer freunde weggezogen
der rest verödet hier
und dass nie viel passiert
man lernt die dinge hassen, die andere "errungenschaft" nennen
die nen geschmack hinterlassen, als ob seelen verbrennen
die werden aufdiktiert, um die hat niemand gebeten
und man zieht sich zurück
und hofft, die zeit vergeht

(6)
sie sagt: erinnerung, macht viele unzufrieden
man fragt sich, wo sind all die guten zeiten geblieben
und in der fläche werden die dörfer gemieden
die fabriken geräumt
und ehen geschieden

(7)
während behörden in berlin neue regeln verabschieden
und schreibtischhengste an sozialplänen schmieden
wird den menschen schon wieder ihr leben vorgeschrieben
irgendwie ist zuviel beim alten geblieben

und wir stehen am fenster, schaun auf unsere zeit
auf die dinge, die kommen
und die dinge, die bleiben
verlasst euer leben, dass ihr längst nicht mehr habt

es kommt die wage vorahnung,
dass sich veränderung anbahnt